Stuttgarter Zeitung 3.4.06
Kernkraftwerk Fessenheim stilllegen"*
*Gemeinsamer Politikerappell*
STRASSBURG/FESSENHEIM (bnü). Erstmals fordern Volksvertreter aus dem Elsass gemeinsam die
Stilllegung des störanfälligen Kernkraftwerks in Fessenheim. Gemeinsam haben 109
Bürgermeister, Gemeinderäte und Abgeordnete einen Appell unterzeichnet.
Bei der Forderung zur Stilllegung des Kernkraftwerks Fessenheim, die in Straßburg
öffentlich gemacht wurde, ist einzig die konservative Regierungspartei UMP nicht
vertreten. Nach der Gründung des trinationalen Atomschutzbundes vor einem Jahr wollen die
Unterzeichner "die Stille brechen", die nach wie vor im Elsass zum Thema
Fessenheim weit gehend herrsche. Eine geplante Klage des federführenden Vereins Stop
Fessenheim und des trinationalen Bundes verharrt bisher im Stadium der Vorbereitung.
Keinesfalls dürfe die Laufzeit des AKW über das Jahr 2007 hinaus verlängert werden, wie
es der Energieversorger Electricité de France (EDF) plant, heißt es in dem Aufruf. Die
Vorsitzende von Stop Fessenheim, Nicole Roelens, erwägt gar die Möglichkeit, an den
Atommeilern lasse sich ein Exempel statuieren. Es wäre die erste - wenn auch aus heutiger
Sicht utopische - Demontage eines Atomkraftwerks in Frankreich. Der Bürgermeister von
Wattwiller, Jacques Muller, setzte der
Forderung gar die Spitze auf: "Der Rückbau der Anlage wäre nicht weniger
interessant als das Bioscope". Damit meint er jenen Freizeit- und Technikpark, der im
Juni in Ungersheim eröffnet wird.
Die Unterzeichner führen nicht zuletzt ökonomische Argumente an: Die Kosten für Wartung
und Nachrüstung der Anlage in mehrstelliger Millionenhöhe würden den Nutzen der Anlage
übersteigen. Doch über genaue Zahlen verfügt niemand. Sicher ist nur, dass ein
Wegfallen der Fessenheimer Stromproduktion von drei Prozent des französischen
Strombedarfs das Land nicht in die Steinzeit zurückkatapultieren würde.
Roelens und ihre Mitstreiter beklagen deshalb auch die geringe Transparenz von Seiten der
Betreiber. Zwar würden Störfälle oberflächlich kommuniziert, die Ursachen würden
jedoch ungenügend aufgedeckt und bekannt gemacht. Insbesondere der Kühlkreislauf fiel in
der Vergangenheit durch seine Störanfälligkeit auf, wobei auch Mängel in der
grundlegenden Ausrüstung im Spiel sind, die den gesamten französischen Atompark
betreffen.
Die Vielzahl kleinerer Störfälle versuchte die Kraftwerksleitung in der Vergangenheit
stets mit dem Argument zu entkräften, Mängel, die man rechtzeitig entdecke, seien ein
Beweis für das Funktionieren der Sicherungssysteme. Roelens hingegen erinnerte in
Straßburg daran, dass
sich auch die Katastrophe von Tschernobyl vor 20 Jahren aus einem (scheinbar) kleineren
Zwischenfall entwickelt habe. Als das heute älteste französische Atomkraftwerk 1977 ans
Netz ging, hätte auch niemand terroristische Angriffe aus der Luft in Erwägung gezogen -
entsprechende Sicherungen wurden bei der Planung also nicht berücksichtigt.
Der Ruf nach dem Ende einer "rückwärts gewandten Energiepolitik" resultiert
nicht zuletzt aus dem Gefühl, der Staat nehme die Zukunftssorgen der Region nicht ernst.
Daher auch die Forderung, erneuerbare Energien stärker voranzubringen. Ein Weg, der auch
Arbeitsplätze schaffen könnte. Denn nicht nur die Atomlobby hängt am Atomkraftwerk
Fessenheim: 630 Arbeitsplätze in Fessenheim und Umgebung hängen direkt oder indirekt von
der Kernkraft ab.