Predigt und Ansprache von Pfarrer Günter Richter
beim Gottesdienst in der katholischen Pfarrkirche in Wyhl
aus Anlass des 30. Jahrestages der Wyhler Platzbesetzung
am 18. und 23. Februar 1975

Sonntag, 27. Februar 2005

Mensch sein heißt umstellt sein von Mächten, die unser Dasein einengen und zu überwältigen drohen. Wir spüren die Gefahren und das Bedrohtsein tagtäglich und können im Blick auf unser Leben nur bestätigen, was Jesus schon seinen Jüngern sagte: "In der Welt habt ihr Angst....".
Feuer und Wasser sind in der Bibel die beiden Elemente, die bildhaft verwendet werden, wenn es gilt, die Bedrohungen des Menschen zu beschreiben. Verheerende Überschwemmungen, die alle Dämme brechen, Tsunamis, die Menschen und menschliche Werte vernichten und die Natur zerstören. Riesige Feuersbrünste, Wald- und Steppenbrände, auch Erdbeben gehören zu den Urerfahrungen der Menschheit und sind Zeichen, Symbole für unzählige Gefährdungen.

Vielen älteren Gliedern meiner früheren Gemeinde Weisweil sitzt der Schrecken dieser Elemente noch tief im Gedächtnis. Wenige Tage vor dem Ende des zweiten Weltkrieges legten Phosphorgranaten das Dorf zu fast 90% in Schutt und Asche. Noch bis in die Mitte des zurückliegenden Jahrhunderts haben verheerende Hochwasser des nahen Rheinstroms die Gemeinde immer wieder überflutet. Doch die Zeit heilte die Wunden - bis am 19. Juli 1973 und am 18. Februar 1975 die Narben neu aufzureißen begannen. Zuerst mit der Nachricht eines geplanten Atommeilers und dann - trotz heftigster Proteste - ein recht massiver Polizeieinsatz. Über Nacht waren die Schrecken von Feuer und Wasser wieder da. Setzen wir für Feuer Radioaktivität und für Wasser die Klimabeeinflussung oder die Abwärme über Kühltürme höher als das Freiburger Münster.

Jörg Zink sagte einmal: "Die Christenheit kommt in jeder Generation mindestens einmal an einen Punkt, an dem sie nicht mehr hinnehmen darf, was geschieht. 1934 zum Beispiel, am Anfang der Hitlerherrschaft, erhoben wenigstens einige Leute der Kirche im Bekenntnis von Barmen ihre Stimme gegen den autoritären Staat. Heute geht es um etwas anderes. Wir haben ja ein Glaubensbekenntnis, in dem es heißt: Ich glaube an Gott, den Schöpfer der Welt. D.h. auf deutsch: Ich glaube, dass die Welt nicht uns Menschen gehört, sondern allen Geschöpfen Gottes gemeinsam. Wir haben sie nicht gemacht. So sind wir an unserem Teil verantwortlich für die Art, wie wir mit ihr umgehen.

Wie gehen wir mit ihr um? Die Antwort weiß heute jedes Kind. Die ersten, die uns auf die weltweit Gefahren hinwiesen, waren die Ökologen, Wissenschaftler, die uns mit bisher nicht bekannten, schockierenden Meldungen überfielen. Leute, die in ihren Briefen an den "Club of Rome " deutlich sagten, dass wir in einer "endlichen Welt leben, in der es kein unendliches Wachstum geben kann". Die Menschen waren im Aufbruch zu ungeahnten Möglichkeiten: Atomenergie zu Pfennigpreisen pro kWh; zu einer Planung eines riesigen Industrieareals von Rotterdam über die Rheinschiene bis nach Oberitalien. Alles schien mit Hilfe von Wissenschaft und Technik grenzenlos machbar. Heute noch sind mir die Namen geläufig: Medeaus und Pestel, die der euphorischen Zukunftsperspektive einen unüberhörbar harten Kontrapunkt dagegen setzten: Von einer lebenswerten Umwelt, würde wohl bald niemand mehr sprechen können. Robert Jungk, damals im Ochsen in Königschaffhausen: "Ich möchte nicht mein eigener Enkel sein." Was heute zum Allgemeingut des Wissens gehört, war vor 30 Jahr eine ungeheure Botschaft, die viele nicht gerne hörten, sondern lieber davon sprachen, dass im Widerstand gegen das Machbare bald die Lichter ausgehen.

Für mich war es die Stunde Null, in da ich erkannte, dass in den Schöpfungsberichten nicht nur davon die Rede ist, uns die Erde untertan zu machen, vielmehr sie zu bebauen und zu bewahren. D.h. anderes, als dass wir nachdenklich, nachhaltig und sorgsam Gottes Schöpfung unter die Füße zu nehmen haben: Wie heißt es so schön in jenem Lied nach Matthias Claudius: "Was nah ist und was ferne, von Gott kommt alles her, der Strohhalm und die Sterne, der Sperling und das Meer..." Dafür Sorge zu tragen, dass das alles leben kann. Dazu hat Gott uns in die Welt gesetzt! Wir sind die verantwortlichen Vertreter Gottes, Gottes Ebenbild, sagt die Schrift! Welch ein Auftrag, welch eine Verantwortung.

Prof. Günter Altner bin ich unendlich dankbar, dass er mir zu dieser Sichtweise die Augen öffnete. Er sprach von der Mitkreatürlichkeit, wohl von Albert Schweitzers Gedanken herkommend: "WIR LEBEN INMITTEN VON LEBEN, DAS LEBEN WILL". Ehrfurcht vor dem Leben, und zwar nicht nur das der Menschen. Dass jedes Jahr hunderte von Tierpopulationen durch unser ausbeuterisches Verhalten zu Grunde gehen, ist ein nie wieder gut zu machendes Vergehen. Wenn es gelänge umzudenken, die Bibel sagt, Buße zu tun, könnten wir zu einer neuen Blickrichtung für das Bebauen und Bewahren kommen. Wer die Erzählung vom Verlorenen Sohn kennt – und wer kennt sie nicht -, der weiß, dass Buße tun nicht nur Sack und Asche bedeutet, sondern zurück zum Willen Gottes führen kann und zu einer neuen Freude an Leben. Jesus spricht an vielen Stellen des Evangeliums vom FASTEN und BETEN. Da ist der stille Berg, den er immer wieder braucht, um neue Kräfte zu sammeln für den weiteren Weg. Dietrich Bonhoeffer meint das Gleiche, wenn er sagt: "BETEN UND TUN DES GERECHTEN" Von der Stille herkommend, werden wir fähig, unser uns von Gott aufgetragene Verantwortung wahr zu nehmen.

Mit diesem Gottesdienst und der sich anschließenden Wanderung auf "revolutionären" Spuren beenden die Bürgerinitiativen eine dreitägige Erinnerungsfeier zur Platzbesetzung vor 30 Jahren. Wir sehen zurück und freuen uns auch heute noch über den Erfolg - wie ich überzeugt bin durch eine Kette von Wundern, durch Gottes Eingreifen. Was wäre z.B. gewesen, wenn nicht jener Polizeikommissar, Hans Weide, seinem Gewissen folgend den neuen folgenschweren Polizeieinsatz verriet? Vielleicht würden wir heute wie in Brokdorf oder Grohnde vor einem dicken Eisenzaun stehen und nicht inmitten wieder wunderbar gewachsener Bäume und einigermaßen noch intakter Natur. Aber Rückblick mit nostalgischem Ambiente darf nicht alles sein. Auch, aber nicht nur. "NAI, HÄMMER GSAIT" oder "HANMER GSEIT" - was soll’s - hat auch eine Zukunftsperspektive, nämlich die, dem immer noch herrschenden Todestrend entgegen zu steuern, mutig, laut und vernehmlich bis in die Spitzen von Wirtschaft und Politik. Wenn es stimmt, das Christenleute - und ich glaube nicht nur diese - nach Martin Luther King "STIMME DERER SEIN SOLLEN, DIE KEINE STIMME HABEN', dann fallen mir tausend Aktivitäten ein, wo mindestens jeder und, jede von uns eine an seinem, an ihrem Platz finden kann. Ich könnte jetzt von den 600 Kindern sprechen, die während des Gottesdienstes an Krankheit und Hunger in der Welt gestorben sind. Oder an die sterbenskranken Kinder aus der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, für die wir heute hier sammeln wollen. Ich denke aber auch - und da liegt ja auch der eigentliche Grund dreitägigen Zusammenseins - an diesen kaum 3o km von uns entfernten halbmaroden Atomkasten FESSENHEIM und seinen Managern von EdF und EnBW. Mit Besorgnis betrachte auch ich" die Tatsache, dass der Vorbehalt gegenüber der Atomenergie in der deutschen Bevölkerung, sinkt und Planungen für den Ausbau national und international an Interesse zunehmen. Wir müssen den designierten Ministerpräsidenten Oettinger davor warnen, in die Fußstapfen seiner Kultusministerin Schawan hinein zu tappen. Wir müssen wissen, welche Partei wir zu wählen haben, um nicht noch einmal in ein Atom-Desaster hineingezogen zu werden. Kämpfen wir darum, dass an dem mühsam gefundenen Prozess des Atomausstiegs nicht mehr gerüttelt wird!

Unser Protest gegen ein KKW auf Wyhler Gemarkung hat viel Gutes gezeugt: Das Öko-Institut, die Regio-Fahrkarte, den Titel Freiburg als "Öko- und Solar-Hauptstadt der Bundesrepublik; zuletzt den 1. Preis im Wettbewerb der Deutschen Umwelthilfe "Zukunftsfähige Kommune" für Freiburg, ja den Anstoß zur Gründung der "Grünen Partei". Das alles dürfte ohne Wyhl nicht zustande gekommen sein! Das sind Highlights", die gut tun nach allem Einsatz. Doch mögen es nur Tropfen auf einem heißen Stein sein. Es waren Tropfen mit ungeahnter erfreulicher Wirkung. Wo wir bereit sind, auch künftig auf Gottes Botschaft zu hören und unsere Verantwortung anzunehmen, wird ER uns den Segen für eine gute Zukunft nicht vorenthalten. Wie zur Einweihung des Gedenksteins schließe ich wieder mit zwei mir wichtigen Zitaten:

Teilhard de Chardin:

"Im Namen unseres Glaubens haben wir das Recht und die Pflicht, uns leidenschaftlich für die Dinge dieser Erde einzusetzen"

Oswald von Nell-Breuning:

"Wir haben Anlass, unsere geschaffene Welt als "von Gott und zu Gott" zu verstehen. Wir haben über sie nicht geistreich zu philosophieren, sondern sie herzhaft anzupacken und vom Kopf auf die Füße zu stellen".

In diesem Sinne braucht die Welt Menschen, die sich einsetzen. Denn tote Fische schwimmen mit dem Strom, lebendige dagegen!"

Amen!