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23.2.2005

Bauplatzbesetzung in Wyhl: Vor 30 Jahren wurde Bau des AKW verhindert
Von Andreas Klug

Heute vor 30 Jahren besetzte die einheimische Bevölkerung das Gelände des
geplanten Atomkraftwerks im Wyhler Wald. Mit Erfolg. Der Bau des AKW wurde
auf Dauer verhindert. Alleine schon das wäre Grund genug für ein großes
Fest, frohlockt die Wyhler Bürgerinitiative heute. Aber das sei noch nicht
alles: Vor Wyhl gab es den erfolgreichen grenzüberschreitenden Widerstand
gegen das geplante AKW in Breisach und die erfolgreiche Bauplatzbesetzung
gegen das Bleichemiewerk im elsässischen Marckolsheim. Hätten sich damals
Badener, Elsässer und Schweizer, Frauen und Männer, Jung und Alt, Städter
und Landbewohner nicht gemeinsam engagiert, - so die Bürgerinitiative - dann
wären in den letzten dreißig Jahren über 300 Tonnen Blei auf den Kaiserstuhl
und das elsässische Ried niedergegangen und die verschiedenen Reaktoren
hätten die Umgebung und den Rhein radioaktiv belastet. Heute feiern die
Bewohner der Region gemeinsam den damals errungenen Sieg - mit vielen
Gästen, teilweise aus dem Ausland.

Grenzlandballade:
>>Im Badisch Land, im Elsass Land / herrscht heute großer Jammer. /Es sind
der Rhein und unser Wald / und die Felder unter'm Hammer.<<

Auf beiden Seiten des Rheins sind die Bürger in Aufruhr. Wo gerade der
Winterweizen keimt, sie gestern noch ihre Reben geschnitten haben, am Fuße
dieses idyllischen Kaiserstuhls wollen ferne Konzerne ihre Fabriken
errichten. Das Wort vom Ruhrgebiet am Oberrhein macht die Runde. Man sorgt
sich um die eigene Gesundheit, sieht aber auch den Wein in Gefahr. Durch
Klimaveränderungen und: Strahlenbelastung. In Wyhl soll ein Atomkraftwerk
entstehen:

>>Mir sind zerschtmol informiert worde in Brisach im Banhof, und zwar do het
e Kolleg von mir gsait, du do isch e Informationsveranstaltung, un de Doktor
Biehler het do ruskriegt, das usserhalb Rottwiehl kummt a Atomkraftwerk h.
Ich heb nimmi recht schloofe kenne selli Nacht. Do mün mir uff 'd Barrikade,
unsere Existenz ist unmittelbar bedroht.<<

Man krempelt die Ärmel hoch und sammelt 65.000 Unterschriften innerhalb
weniger Tage. Das macht Mut:

Grenzlandballade:
>>Die Bauern sind jetzt aufgewacht / und die Arbeiter und die Studenten /
und tausend Frauen schlugen Alarm: /
Wir müssen das Übel abwenden.<<

>>Wir gehen nach Hause, wir rüsten uns zum Platz-besetzen in Wyhl.<<

Unbescholtene, ruhige Bürger proben den Aufstand. Ein Aufstand gegen die
Obrigkeit in Stuttgart, Bonn und: Paris. Ideal: der alemannische Dialekt. Im
Rheintal zwischen Schweizer Jura, Vogesen und Schwarzwald versteht man sich
über Staatengrenzen hinweg, Parole: Verteidigung der Heimat:

>>Wir fordern Sie zum letzten Mal auf...<<

>>Des isch jo e Schande...<<

>>Polizei, raus aus Wyhl...<<

Grenzlandballade:
>>Sie fuhren Wasserwerfer auf, / sie hetzten ihre Köter, / sie zogen ihren
Stacheldraht - / doch wir lachten drei Tage später.<<

Sie lachen tatsächlich, am Sonntag, dem 23.Februar 1975. 30.000 Menschen
besetzten den Bauplatz des geplanten AKW Wyhl, eine Besetzung, die andauern
sollte. Man verpflichtet sich streng der Gewaltlosigkeit, aber mindestens
ebenso der Entschlossenheit. Ausdruck dessen: Das auf dem Bauplatz
errichtete Freundschaftshaus. Hier wird in den kommenden Monaten diskutiert
und geplant, werden anarchoregionalistische Utopien gesponnen, aber auch
ganz konkret der Grundstein für das gelegt, was heute als Umweltbewegung
gilt.

Die Landesregierung unter Ministerpräsident Hans Filbinger aber hofft, dass
sich die Besetzer zurückziehen:

>>Zweifellos ist es zu einer gewissen Solidarisierung an Ort und Stelle
gekommen, und wir wollen den besonnenen Kräften unserer Bevölkerung die
Möglichkeit geben, hier sich wieder herauszufinden, ich habe niemals unsere
Bürger in einen Topf geworfen mit den Extremisten und den Kommunisten, denen
es nicht geht um den Umweltschutz, sondern die in erster Linie gegen unseren
Staat angehen wollen.<<

Im Sommer 1975 beginnen Verhandlungen, das Ergebnis: Gebaut wird nicht, die
Besetzung des Bauplatzes in Wyhl wird beendet, es gibt keine Strafanzeigen
gegen die Aktivisten. Und heute? Wein und Weizen wachsen dennoch nicht auf
dem Bauplatz: Er ist mittlerweile zum Naturschutzgebiet erklärt worden.